Was ich noch sagen wollte
Text: Ludwig Schumann
Seltsam. Ich habe keine Schmerzen. Ich sehe aber nur verschwommen. Ich scheitere, wenn ich zu denken versuche. Das Gedächtnis scheint ein großes Loch. Es bringt so gut wie nichts, jetzt aufzustehen. Ich bin nicht bei mir. Plötzlich ein Gedanke, der nicht mehr loslässt. Die Andacht im Elbe-Saale-Camp 14 Uhr. Das wird nichts. Tage später weiß ich, dass es nicht mehr und nicht weniger als ein Blutdruck unter 100 war. Für jemand, der seit Jahren mit dem Doppelten lebt, hat das Gesunde Züge von Tödlichkeit. Für mich eine absolut neue Erfahrung. In den Tagen danach kommen besorgte Anrufe. Dass das soviel Anteilnahme auslöst, rührt mich an. Das Netz, in dem man lebt, wird für einen Moment hörbar.
Nun will ich gern nachtragen, was der langsame Leser versäumte, weil er plötzlich tatsächlich verlangsamt worden war. Da gibt es zunächst einen Text aus dem 2. Kapitel der Bibel, aus dem älteren Schöpfungsbericht. Der lautet wie folgt:
„Dann legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten an und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte. Gott, der Herr, ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten, in der Mitte des Gartens aber den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert; dort teilt er sich und wird zu vier Hauptflüssen...
Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte.“
Nomaden haben sich diese Welterklärung erzählt. Vor sehr langer Zeit. Noch ganz magisch-bildlich: Der Mensch, aus Ackerboden geformt. Mit Odem zu Leben erweckt. Hier wird nicht erklärt, wie die Welt entstanden ist, sondern was diese Welt- und seine eigene Entstehung für den Menschen bedeutet.
Mich erinnert, pardon, aber tatsächlich diese Geschichte an 1989. Etwas passierte, was niemand zuvor geglaubt hatte, dass es passieren könne. Und nun hatten wir das Ergebnis: Es wurde allerorten Freiheit genannt. Aber was ist das? Die erste Explosion führte in die Welt. Freiheit, das muss Reisefreiheit sein. Die zweite war eine Implosion, nämlich die der Gewerkschaften. Die brauchten wir nicht mehr. Freiheit ist eine Freiheit von Zwängen und Verpflichtungen.. Das sollte sich balda als kurzsichtig erweisen. Die dritte machten wir nicht, die wurde uns bereitet: Die Befreiung von Arbeit. Je nach Temperament wuchsen da Zorn oder Lethargie. Was die wenigsten erreichte, war das protestantische Verständnis von Freiheit: Karl Marx ist dem schon ziemlich nah, wenn er sagt: Freiheit gibt es erst in der Gemeinschaft mit dem Anderen. Erst mit ihm kann der Mensch seine Anlagen nach allen Seiten ausbilden und damit Freiheit erfahren. Im Kapitalismus, schränkt er ein, basiert der Freiheitsbegriff auf Absonderung, ist ein egoistischer. Der protestantische Freiheitsbegriff ist gleichfalls nur aus dem Wissen um das Eingebundensein in die Gemeinschaft möglich und bedeutet: Ich übernehme Verantwortung. Freiheit ist die freiwillige Übernahme von Verantwortung zugunsten der Gemeinschaft. Reisefreiheit ist in diesem Denken lediglich die angenehme Möglichkeit, ohne Pressionen und Ängste wohin auch immer verreisen zu können.
Warum hole ich soweit aus? Das entscheidende Wort der zitierten Bibelstelle findet der Leser im letzten Satz. Es ist das letzte Wort. Hier darf man mal das letzte Wort haben: hüte.
Wenn ich nun noch mal den biblischen Text lese und erkenne, es geht um die Welt. Genauer gesagt, um unsere Rolle in der Welt, die man nur definieren kann (nach diesem Text), wenn man diese Welt nicht als selbstverständlich Vorhandenes begreift, sondern als Geschenk. Ein Geschenk impliziert Kostbarkeit: Ich bin jemandem etwas wert, dem Schenkenden nämlich. Aber dieser Schenkende fordert etwas ein: Die Achtung vor seinem Geschenk. Es ist zu hüten. Das Geschenk ist zu bewahren, man hat seine Augen darauf zu haben, es ist vor bestimmten Dingen zu bewahren, es ist in Acht zu nehmen. Das ist der Bedeutungshorizont im Hebräischen. Es ist nicht ganz anders als bei uns: Da schwebt der Begriff des Hütens zwischen bewachen, beaufsichtigen, aber auch zum Wohle des Behüteten etwas nicht zu tun.
Es ist unsere Freiheit, die Freiheit der Geschöpfe Gottes, und, wie sollte es für freie Menschen anders sein, zugleich unsere Verpflichtung, diese Schöpfung zu bewahren, die Augen darauf zu haben, sie in Acht zu nehmen. Die Bedingung dafür ist, sich kompetent zu machen. Bebauen und hüten kann nur, wer davon etwas versteht. Da ist, meine sehr verehrten Lieben, in wenigen Sätzen das komplette Programm des Elbe-Saale-Camps aufgeschrieben.
Die Camper hat in diesen Tagen ein Lied von RENFT begleitet:
sagt wozu die flüsse taugenBei RENFT ist es der Schrei nach Freiheit. Fort ins Weltenmeer. Fort mit dem Anfang, fort mit dem Ende. Ist es die Sehnsucht, die Freiheit zu verspüren.
ziehn von stadt zu stadt
und sie tragen aus den augen
was man nicht mehr nötig hat
fort fort ins weltenmeer
sagt wozu die flüsse taugen
was geben flüsse her
Seit 1992 gibt es das Elbe-Saale-Camp. Seit im Bundesverkehrswegeplan von 1992 Elbe und Saale schifffahrtsfähig gemacht werden sollen. Wirtschaftlich gesehen ein Komplettunsinn, ist doch der touristische Erlös auf dem Elbe-Radweg wesentlich höher als das Geld, was über die Schifffahrt eingenommen wird. Dazu für Flora und Fauna eine Katastrophe mit Ansage. Der einzige Grund sind die mit Baubeginn zu erwartenden Investitionssummen. Die weitestgehend wieder intakten Flüsse, in der Folge dann auch die Flussauen, sollen schlicht Mammon geopfert werden. Aus der Freiheit der Kinder Gottes heraus sind wir da verpflichtet, zu opponieren, das Wächteramt zu übernehmen, Acht zu geben, zu bewahren, eben zu hüten. Und eins ist dabei noch wichtig zu sagen: Das tun wir nicht als Gutmenschen, die sich in die tosende Brandung werfen, um zu verhüten. Wir tun das, das wird in dieser Bibelstelle sehr deutlich gesagt, weil wir Teil dieser Schöpfung schön sind. Der Widerstand resultiert aus dem Umstand, dass wir Teil dieser Schöpfung sind. Es geht letztlich bei diesem Engagement uns um nicht mehr und nicht weniger als die Erhaltung unseres eigenen Lebenshorizontes. Wir in der Kulturlandschaft der Elbe: Das lädt zum Träumen ein. Träumen aber ist immer der Beginn von etwas. Dann werden wir sein wie die Träumenden, betet der Psalmist. Träume sind in der Bibel deshalb so wichtige Ereignisse, weil sie heilbringend in das menschliche Leben eingreifen. Insofern ist es ein gutes Zeichen, wenn uns diese Landschaft bei den Flüssen zum Träumen einlädt. Das zeigt, wir sind hier richtig. Wir tun etwas Wichtiges, und wir tun es auch für die mit, denen die Fixation auf zu erwartende Gewinne den Sinn für Träume getrübt hat. Die denken, das Träume für solche seien, die zum Arzt gehen müssten. Die Träume haben aber, da sind wir wieder bei den biblischen Texte, die, die real denken, die die Erfahrung gemacht haben, dass Träume realiter die Welt heil machen helfen. Damit etwas heil wird, braucht es eben einen gewissen Druck. Womit wir wieder beim Anfang wären.
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