Dr. Sichting ordnete seinen Vortrag einleitend ein in die weltweite Umweltproblematik, die er bereits seit den 1970er Jahren verfolgt. Er machte das am Jahr 1972 fest, als der Club of Rome mit der Studie Grenzen des Wachstums Fragen nach der Versorgung der stetig wachsenden Weltbevölkerung mit Lebensmitteln und Rohstoffen stellte – unter anderem auch mit sauberem Wasser. Und er ergänzte diese Fragen um die zu erwartendenden Auswirkungen eines möglichen Anstiegs des Meeresspiegels im Rahmen des Klimawandels, der niedrig gelegene Gebiete überschwemmen würde, wie etwa die Malediven oder auch deutsche Küstengebiete und Inseln.
Während er seinen Vortrag begann, liefen hinter ihm auf der Leinwand Filmaufnahmen des Breitenhagener Deichbruchs 2013. Aufgenommen aus einem Bundeswehrhubschrauber, etwa eine Stunde nach dem Deichbruch. Bilder, wie man sie sonst aus Polizeifilmen kennt, mit den in die Filmaufnahmen eingeblendeten Information über Ort und Richtung, Entfernung und Höhe der Aufnahmen. Nur daß es hier nicht um inszenierte, sondern um reale Ereignisse ging. Das Hochwasser noch gut in Erinnerung verbreiteten diese Aufnahmen schon ein wenig Gänsehautstimmung. Vor allem, weil mit den Bildern nochmal die Ereignisse des letzten Jahres vor Augen kamen, aber auch weil derartige Überschwemmungen auch in vielen Teilen der Welt Realität sind.
Dr. Sichting machte anhand der Filme darauf aufmerksam, mit welcher Gewalt das Wasser durch den Deich schießt, und stellte fest, daß bei einem solchen Schadensereignis an der Deichbruchstelle selbst nichts mehr zu retten ist. Viel wichtiger ist deshalb, Vorsorge gegen solche Ereignisse zu treffen. Hätte man die Bruchstelle nicht vorhersagen können, wollte jemand aus dem Publikum wissen. Nein, so die eindeutige Antwort. Dazu sind die Verhältnisse vor Ort zu wenig dokumentiert, zum Beispiel zum Beispiel Deichaufbau und -zustand sowie die Strömungsverhältnisse.
Zum vorbeugenden Schutz stellte er klar, daß derartige, zum Hochwasser führende Wetterereignisse zwar zufällig kommen, aber nicht unerwartet. Bereits am 15. Februar 2011 gab beispielsweise die Bundesregierung eine Pressemitteilung zum Klimawandel heraus, in der sie darauf hinwies, daß es zu mehr Wetterextremen kommen werde, auch mit starken Regenereignissen. Daß dies durchaus begründete Aussagen sind, wird inzwischen auch daran deutlich, daß sich immer öfter die Zugbahn von Tiefdruckgebieten ändert, die von Island kommend nicht wie gewohnt eine nördliche Route nehmen, sondern einen Umweg über das Mittelmehr machen, wo sie viel Wasser aufnehmen und dieses weiter nördlich abregnen. Deshalb wird in der genannten Pressemitteilung auf stärkeren Selbstschutz orientiert. Und dieser müsse sowohl die Sicherheit der Deiche als auch die Vorsorge beim Bau von Häusern betreffen.
Dabei besteht allerdings ein Problem, auf das Dr. Sichting hinwies: für den Hochwasserschutz sind die Bundesländer zuständig, aber Hochwasser mache nunmal nicht an Landesgrenzen halt. So berühren die Einzugsgebiete von Elbe und Saale mehrere Bundesländer und deshalb ist ein einheitliches und abgestimmtes Handeln gefragt. An der Elbe ist es beispielsweise so, daß der Fluß in Sachsen ein stärkeres Gefälle als in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen hat. Wenn also in Sachsen für einen schnelleren Hochwasserabfluss gesorgt wird, dann ist bei uns das Hochwasser höher und bleibt länger (die Wassermenge ist schließlich die selbe).
Beim vergangenen Hochwasser wurden seitens der Deichwachen auch Problembereiche benannt, die gelöst werden müssen, auch wenn das mitunter dem Naturschutz widerspreche, so Dr. Sichting mit Blick auf die dem Naturschutz nahestehenden Campteilnehmer. Wenn beispielsweise ein Biber sich in Deiche eingrabe, dann könne das nicht hingenommen werden, ebenso wenn Bäume zu dicht am Deich stehen und ihn durchwurzeln. Daß in solchen Fällen angesichts der möglichen Schadpotentiale der Schutz der Menschen Vorrang habe, war aber unwidersprochener Konsens.
Interessant war auch der Blick auf den Pegelverlauf um den 9. Juni letzten Jahres herum: In Barby stand das Wasser bei 7,62 Meter, als in Breitenhagen der Deich brach. "DieserWasserstand hätte sicher noch mehrere Tage angehalten, vielleicht sogar noch auf etwa 7,85 Meter gestiegen", sagte Dr. Sichting. Aber dann brach der Deich und das Wasser fiel innerhalb weniger Stunden um mehrere Dezimeter. Das Wasser floß durch den Breitenhagener Deichbruch ab, etwa 105 Millionen Kubikmeter Wasser verteilten sich auf 85 Quadratkilometer. Schlimm war dort nicht nur der Schaden an den Häusern und Wohnungen, sondern auch, daß das Wasser über Wochen hinweg als fauliges, totes Wasser auf den Äckern Stand. "Der Boden darunter war praktisch erstickt, auch alle Kleinlebewesen und Bodenorganismen", so Dr. Sichting. Bis das Wasser allmählich abfließen konnte, dauerte es lange.
Anders waren die Verhältnisse in Barby, wo 2013 ebenfalls das Wasser auf den Straßen stand. Im Vortrag zeigte Dr. Sichting entsprechende Fotos, auch Luftbildaufnahmen mit großflächigen Überflutungen. Nur war es dort keine direkte Überschwemmung durch die Elbe, sondern heranströmendes Drängwasser. Für die Betroffenen ist das nur ein kleiner Unterschied (außer daß das Wasser auf den Fotos sah klar aussah, während das Wasser der Elbe braun und trübe war). Wer sich noch erinnert: dieser Unterschied sollte aber hinsichtlich der Zahlung von Soforthilfe bedeutsam sein, die es anfangs nur für direkte Überschwemmung gab (was erst später korrigiert wurde). Auch wenn es im Raum Barby "nur" um 5 Millionen Kubikmeter Wasser ging: auch die konnten erst langsam abfließen.
Zunächst gab es Ausführungen zum Unterschied zwischen (oberflächennahem) Grundwasser und Drängwasser. Grundwasser wird vor allem durch Niederschläge gespeist, in unserem flußnahem Gebiet aber auch durch Einsickerung aus Elbe bzw. Saale in oberflächennahe Bodenschichten. Das führt dazu, daß der Grundwasserstand relativ schnell auf Niederschläge reagiert, aber je nach Abstand zu den Flüssen auch auf Pegeländerungen der Flüsse nach dem Prinzip verbundener Gefäße. Dabei spielt auch einGleichgewicht aus Niederschlag, Verdunstung und Grundwasserabfluss eine Rolle. Für den Bereich Schönebeck war auf den Vortragsfolien zu lesen, daß im langjährigen Mittel jährlich 540 Millimeter Niederschlag fallen, von den 440 Millimeter verdunsten, so daß etwa 100 Millimeter vom Grundwasser aufgenommen werden müssen, das dann in Richtung der Elbe fließt.
Anders ist das beim Drängwasser, das mit unterirdischen Druckverhältnissen zusammenhängt. So bekommen Barby oder auch Pömmelte Probleme bei hohem Wasserstand der Saale, weil dort Wasser in Kiesschichten eindringt, in denen es – nach oben durch Lehmschichten abgedichtet – unter artesischem Druck steht. Das bedeutet, daß es an Stellen, an denen die Lehmschicht fehlt oder durchbrochen ist (beispielsweise durch Bauarbeiten oder durch Häuser – die dann sogar aufschwimmen können) unter Druck nach oben austritt. Wenn man diese Austrittsstellen kennen würde, könnte man sie durch Qualmdeiche eingrenzen, so Dr. Sichting. Jedoch ist das Finden von Austrittsstellen schwierig und eine Bekämpfung großflächiger Austritte ebenso. Als Hilfe bleibt nur ein umfassendes Wassermanagement, was letztlich bedeutet, durch Gräben das Wasser abzuleiten und ihm Stauraum an Stellen zu bieten, an denen es keinen Schaden anrichtet. Angesichts der geringen Höhenunterschiede in dem Gebiet keine einfache Aufgabe. "Seit im 18. Jahrhundert holländische Fachleute unser Gebiet großflächig entwässert und melioriert haben, ist einiges an Wissen über solche Zusammenhänge verlorengegangen", so Dr. Sichting.
Anhand einer Karte des Elbe-Saale-Winkels machte er die Richtung der Wasserabflüsse deutlich und wies auf Probleme, aber auch auf mögliche und aktuell diskutierte Lösungen hin.
Planungsgebiet des Elbe-Saale-Winkels |
Ein Problem sieht er beispielsweise in der mangelnden Pflege von Abflußgräben, sagte er: "Teilweise ist die Grabensohle 80 Zentimeter höher als beim Bau der Gräben, weil die Gräben nur noch gemäht, aber nicht mehr ausgebaggert werden. Auch engen Verrohrungen den Abflußquerschnitt ein. Alles das verringert die mögliche Durchflußmenge". Das wurden von Gästen der Diskussion, die auch aus den betroffenen Ortschaften kamen, bestätigt. Das Wasser aber, das im Graben nicht abfließen kann, presst sich ins Grundwasser und führt dadurch zu höheren Grundwasserständen.
Zum Ende seines Vortrages stellte Dr. Sichting einige Forderungen an die Politik, dazu gehörte unter anderem
- die Deiche auf DIN-gerechten Stand bringen, mit einer Höhe von 1 Meter über dem Hochwasser 2013
- schnellstmögliche Klärung der Grundwassersituation und Definition möglicher Lösungen für den Wasserabfluss sowie deren Umsetzung
- Simulation der Abflußbahnen des Wassers bei Deichbrüchen im Elbe-Saale-Winkel mittels georeferenzierter Daten (die in diesem Jahr vom Land herausgegebenen Hochwassergefahrenkarten beinhalten dazu noch keine Aussage)
- Unterstützung und Beratung der Bürger bei Vorsorgemaßnahmen, um Schäden durch Hochwasser und Drängwasser zu minimieren
- Die Politik muß handeln.
- Der Bürger will informiert werden.
- Das Wasser muß weg.
Auch die Rolle der großen Kies-Tagebaue, die als gefüllter See Einfluß auf das Grundwasser haben, wurde diskutiert, ebenso wie Fragen des Bestandsschutzes, falls sich ein negativer Einfluß herausstelle. Dazu erklärte Dr. Sichting den Unterschied zwischen der Betriebsgenehmigung, für die Bestandsschutz gelte und dem im Abstand von zwei bis fünf Jahren jeweils neu einzureichenden Hauptbetriebsplan. Dabei müsse der Betreiber nachweisen, daß seine Anlage keine schädlichen Auswirkungen habe und das sei der Punkt, an dem Einwände eingebracht werden könnten, so Dr. Sichting. Allerdings müssen das rechtlich und fachlich begründete Argumente sein, sagte er.
Ein Diskussionsteilnehmer stellte angesichts der überschaubaren Besucherzahlen die Frage in die Runde, wo denn auf einer solchen informativen Veranstaltung die vielen Betroffenen seien. Jutta Röseler konnte als Veranstalterin auch nur etwas ratlos darauf verweisen, daß die Presse im Vorfeld gut über den Termin informiert habe. Schließlich sei keine Lösung, nur im stillen zu schimpfen, aber selbst nicht aktiv zu werden. Dr. Sichting empfahl abschließend, sich gezielt zu informieren und die Politik zum Handeln zu motivieren, aber auch aufzufordern, damit alles Erdenkliche zügig getan werde. Die Sensibilität des Elbe-Saale-Winkels vor den Gefähren vor Hoch-, Grund- und Drängewasser ist immens hoch. Das macht auch der der Stadt Barby durch das Junihochwasser 2013 enstandene Schaden von 158 Mio. € deutlich. Der Klimawandel wird dieses Thema auf Dauer zu einem kommunalpolitischen Schwerpunkt machen. "Gehen Sie zur Verwaltung oder zu den Sitzungen der Stadt- und Gemeinderäte, bringen Sie sich ein, fragen Sie auch kritisch nach, doch unterstützen Sie jede Aktivität zur Umsetzung von Lösungen", sagte er.
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